- 2007 Abschluss Studium der Jüdischen Studien und Neueren deutschen Literatur
- Tätigkeiten als freie Journalistin, Lektorin, Texterin
- 2009-2011 Ausbildung zur Heilpraktikerin an der Paracelsus Schule Berlin
- seither kritische Beschäftigung mit Paramedizin
- 2013 Jürgen-Ponto-Preis für das Romandebüt »Brandstatt« (C.H.Beck)
- 2016 »Unheilpraktiker. Wie Heilpraktiker mit unserer Gesundheit spielen« (Riemann
Verlag bei Random House)
- 2016 Mitglied der GWUP
Heilpraktiker abschaffen und was dann? Gedanken zu einem zeitgemäßen alternativen Heilberuf
Jahrzehntelang fristeten Heilpraktiker ein unbekümmertes Dasein in einer unkontrollierten
Nische der Gesundheitsversorgung. Durch Heilpraktikergesetz und Grundgesetz
schienen sie geschützt vor tiefgreifenden Reformen. 2016 kommt endlich Bewegung
in die Sache. Im Mai erscheint mein Buch »Unheilpraktiker«, das in verschiedenen
Medien besprochen wird, ohne allerdings eine größere Debatte auszulösen. Im
August kocht die Angelegenheit plötzlich hoch. Durch die tragischen Ereignisse in einer
alternativen Krebsklinik, der ein Heilpraktiker vorsteht, werden in Politik und Medien
Stimmen laut, die eine Reformierung des Heilpraktiker-Berufes fordern. Zum
Stand August 2016 lässt sich nicht absehen, wohin die Debatte führen wird. Es ist jedoch
unwahrscheinlich, dass in den kommenden Monaten prompt Gesetze auf den
Weg gebracht werden, die den Heilpraktikerberuf einschneidend regulieren. Und unabhängig
von den Auswirkungen der gegenwärtigen Situation, lohnen sich Überlegungen
zu folgender Was-wäre-wenn-Frage: Was hätte es für Folgen, wenn der Heilpraktiker
nicht nur reformiert, sondern gänzlich abgeschafft würde? Zwar halte ich das
für das unwahrscheinlichste Szenario. Aber daraus ergeben sich Fragestellungen, die
letztlich die sog. Alternativmedizin insgesamt betreffen. Es ist für Skeptiker, und ich
zähle mich dazu, mitunter schwer erträglich, dass so viele Menschen der Glaubensmedizin
anhängen. Dennoch sollte man die Gründe nicht leichtfertig abtun, denn sie sagen
viel über die Bedürfnisse von Kranken aus. Ich möchte betonen, dass ich für verschwörungstheoretisches
und esoterisches Denken keinen Funken Verständnis habe.
Aber Patienten, die sich einfach nur eine empathischere Medizin wünschen, sollte man
ernst nehmen. Dieser Punkt führt auch zu den Fragen, die ein Verbot des Heilpraktikers
aufwerfen könnten:
Entstünde ein Betreuungsvakuum für Patienten? Berührt es das Selbstbestimmungsrecht
nach freier Wahl medizinischer Versorgung? Ist es eine Frage von Intoleranz gegenüber
Menschen, die tatsächlich an Paramedizin glauben? Wie aufklären ohne
Überheblichkeit? (Und wie, dabei nicht die Nerven verlieren?) Und: Sind Alternativen
zum Heilpraktiker denkbar?
Mal abgesehen vom esoterischen Ballast, von gefährlichen Methoden und von der
zweifelhaften Wirksamkeit vieler paramedizinischer Therapien, erfahren Patienten
beim Heilpraktiker viel Zuwendung und (im besten Falle) wohltuende Behandlungen.
Das kann und sollte man Patienten kaum versagen. Zwar gibt es Physiotherapeuten
und weitere Heil- und Pflegeberufe. Doch sind diese spezialisiert und erfüllen auch
spezifische Aufgaben. In meinem Buch »Unheilpraktiker« mache ich den Vorschlag zu
einem Berufsbild des »Genesungsbegleiters«, der dort weitermacht, wo dem Arzt die
Zeit fehlt. Grundvoraussetzung wäre, dass dem Genesungsbegleiter keinerlei diagnostische
Kompetenz zugestanden wird. Er setzt Methoden ein, die nicht zwingend die
Kriterien der Evidenzbasiertheit erfüllen müssen, die aber wohltuend wirken bzw. den
Placebo-Effekt triggern können (z.B. Berührungsmethoden wie Massagen und Shiatsu,
Schröpfen, auch Entspannungsverfahren, Ordnungstherapie etc.) Der Frage, warum
Homöopathie und weitere Verfahren keine Rolle spielen dürften, würde auch nachgegangen
werden.
Ich gestehe, der Genesungsbegleiter klingt nach Mogelpackung, denn Wellness-
Anbieter gibt es wahrlich zur Genüge. Dennoch könnte es ein Angebot für Anhänger
alternativer Verfahren darstellen. Natürlich bliebe die Frage nach der Esoterik, ob der
Genesungsbegleiter nicht, ähnlich den Hebammen, zwar eine staatlich regulierte Ausbildung
durchlaufen, aber dennoch übersinnlichen Humbug vermitteln würde. Zunächst
einmal lassen sich spiritistische Sehnsüchte den Menschen nicht austreiben. Viel
wichtiger ist, dass die Grauzone, in der sich Heilpraktiker als Medizin-Profis aufspielen
können, komplett abgeschafft wird. Es ist zwar bedenklich, wenn Erwachsene an Zauberkräfte
glauben, aber noch schlimmer sind unqualifizierte Laien, die sich an Venen
zu schaffen machen dürfen, die Krebs behandeln dürfen, die nicht zugelassene Medikamente
verabreichen dürfen.
Webseite: https://anousch.net